Interview Orpheus
Die 1001 Geheimnisse des „Baddi-Building“
Mit dem Tenor sprach Marie v. Baumbach
Der georgische Tenor Simon Baddi (Bagdadischwili) studierte in Tiflis und Moskau Gesang und debütierte mit 22 Jahren an der Oper von Tiflis als Rodolfo in „La bohème“. Es folgten viele Jahre als dramatischer Tenor an allen wichtigen Häusern Osteuropas, u.a. in Tiflis, am Bolshoi oder der Oper in Kiew, wo er Partien wie Otello, Radames, Calaf oder Hermann in Pique Dame sang. Da er nicht Mitglied der kommunistischen Partei war, durfte er lange Zeit nicht im Westen auftreten. Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde er an die Staatsoper Belgrad engagiert. 1991 flüchtete er vor dem Ausbruch des Krieges nach Wien, wo er heute lebt und unterrichtet. Für seine Schüler hat er eine ganz spezielle Methode entwickelt – die von ihnen liebevoll „Baddi-Building genannt wird“!
Herr Baddi, seit vielen Jahren unterrichten Sie in Wien Opernsänger, Musicalstars und Schauspieler. Alle sind ganz begeistert von Ihnen. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Ich weiß nicht, ob es ein Geheimnis ist, aber ich gebe vor allem technischen Unterricht. Mir geht es noch nicht so sehr um die Interpretation, sondern die technischen Grundlagen für das Singen zu schaffen. Mein erstes Ziel ist deshalb, meinen Schülern als erstes eine richtige Atemtechnik zu vermitteln. Die Atmung ist das Wichtigste überhaupt, davon hängt alles ab, auch unser körperliches Wohlbefinden. Viele Menschen atmen komplett falsch, nur bis zur oberen Lunge, aber nicht in den Bauch hinein. Ich war Gastprofessor an der Britten-Pears School in London, und es gibt nicht viele Lehrer die sich so um die reinen Grundlagen kümmern, die gutes Singen überhaupt erst möglich machen. Es ist die alte Gesangstechnik, die ich vermitteln will, eine Technik, die nur mehr die wirklich großen Sänger unserer Zeit noch kennen, bzw. kannten, wie z.B. Maria Callas, Franco Corelli oder Mirella Freni. Kann denn Ihrer Meinung nach jeder Mensch singen? Jedes Instrument hat einen Mechanismus, und die Stimme ist ein Instrument. Auf einem Klavier können Sie alles spielen, von Jazz über Rock und natürlich auch Klassik. Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch singen kann, auch über sein eigentliches Fach hinweg. Das heißt nicht, dass jeder ein Sänger ist, dazu gehört natürlich auch Musikalität, Disziplin und ein Gespür für Interpretation. Aber singen kann wirklich jeder. Man muss nur die Stimme bei vielen erst herausholen.
Also versteht man unter „Baddi-Building“ den Aufbau einer richtigen Atemtechnik?
Ja, aber nicht nur. Baddi-Building ist eine ganzheitliche Methode und geht von der Urkraft aus. Mit Baddi-Building gibt es kein gekünsteltes Singen mehr, keine Grimassen, da die Stimme von einem geheimnisvollen Ort wie von selbst kommt – SOFORT! Mein Ziel ist es, Stimme zu befreien, Körper, Seele und Stimme zu verbinden und das Bewusstsein zu erweitern. Dazu muss man natürlich erst mal den Mechanismus der Stimme verstehen. Als ich jung war und Unterricht nahm, gab es in den alten Gesangsschulen nach drei Monaten Vorsingen vor einer Kommission. Und wenn ein Schüler nicht gut war, hat man nicht ihn dafür verantwortlich gemacht, sondern den Lehrer. Heute studieren so viele Sänger in den Konservatorien, die singen dann pro Woche vielleicht zwei Mal eine halbe Stunde und sind den Rest der Zeit mit Theorie oder Instrumenten beschäftigt. Da kann nichts dabei rauskommen. Sie lernen hunderte Dinge, schließen alle mit Magister ab, sind ausgebildete Opernsänger und haben trotzdem keine Stimme. Mein Ziel ist es, die Stimme frei zu machen, den Leuten ein Timbre zu geben und die Höhe herauszuholen. Manche Sänger gehen mit dem doppelten Stimmvolumen von mir weg.
Wie lange arbeiten Sie mit Ihren Schülern?
In den letzten 16 Jahren hatte ich rund 200 Schüler. Es kommt darauf an, wie schnell jemand Fortschritte machen will. Viele sind bei mir nach drei bis sechs Monaten fertig, ich kann eine Stimme in ganz kurzer Zeit frei machen. Ich habe aber auch Sänger, die lange bei mir sind. Die Jazz- Sängerin Timna Brauer (Tochter des berühmten Malers Arik Brauer) zum Beispiel. Sie nimmt bereits seit mehreren Jahren bei mir Unterricht, sie singt hauptsächlich im Jazz Bereich, aber mit dieser Technik hat sie jetzt die Traviata Arie bis zum Hohen Es gesungen. Natürlich nicht mit einer richtigen Opernstimme, aber sie hat alle Töne. Sie sagt, ich hätte ihre Karriere als Interpretin sehr beeinflusst. Zu mir kommen Künstler aus allen Bereichen, aus dem Rock- und Popbereich, Musicalsänger oder Opernsänger der Volksoper und Staatsoper Wien. Ich habe auch mit Schauspielern gearbeitet, u.a. mit Nina Pröll, Natalie Allison von der RTL Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder mit Andrea Eckert.
Arbeiten Sie mit Musicalstars anders als mit Opernsängern?
Die Atemtechnik ist die Gleiche. Musicalstars müssen aber ihr Stimme mehr öffnen und „weißer“ singen. Ein Opernsänger muss runder, abgedeckter singen, die Italiener sagen „coperto“. Ich hatte alle Hauptpartien des Musicals „Mozart!“ bei mir, was lange im Theater an der Wien lief. Diese Sänger mussten abwechselnd alle zwei Tage auf der Bühne stehen und singen, und sie haben es alle geschafft. Gott sei Dank konnte ich ihnen helfen, keiner war erschöpft, keiner hatte Stimmbandprobleme.
Was sind die Probleme der heutigen Sänger?
Viele Karrieren dauern heute nicht mehr lange, weil die Leute sich überanstrengen. Schauen Sie sich die Opernsänger der vorherigen Generation an. Ein Plácido Domingo singt seit über 40 Jahren. Heute können Sänger glücklich sein, wenn sie zehn Jahre an der Spitze sind. Ich versuche, eine Art des Singens zu vermitteln, die Sänger nicht ermüden lässt. Ich möchte, dass sie stundenlang ohne Probleme singen können. Das gilt auch für Menschen, die viel sprechen müssen. Ich hatte einmal einen Uniprofessor, nachdem er bei mir war, konnte er acht Stunden am Stück reden und war überhaupt nicht angestrengt.
Haben Sie noch einen Wunsch?
Ja, ich würde liebend gerne einmal mit Rolando Villazon arbeiten. Er ist so ein großes Talent und ein fantastischer Sänger.